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Do, 09.09.2021

Zum 12. September: Europäischer Kopfschmerz- und Migränetag

Kopfschmerz ist nicht gleich Kopfschmerz. Je nach Ursache, Dauer und Art der Schmerzen unterscheidet die Deutsche Migräne und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) über 176 verschiedene Arten. Dr. Joachim Ulma, Chefarzt im Bremer Schmerzzentrum am Rotes Kreuz Krankenhaus (RKK), ist anerkannter Experte auf diesem Gebiet. Das Zentrum feiert in diesem Jahr sein 40-jähriges Bestehen.

„Über 90 Prozent aller Kopfschmerzen lassen sich auf Migräne, Spannungs- kopfschmerz und Medikamenten-Übergebrauchs-Kopfschmerz (MÜK) zurückführen, weiß Dr. Joachim Ulma, Chefarzt der Klinik für Schmerzmedizin am Rotes Kreuz Krankenhaus Bremen (RKK). Unmittelbar lebensbedrohlich sind diese Kopfschmerzen nicht, jedoch schränken sie die Lebensqualität der Patienten ganz erheblich ein. Chronisch ist der Schmerz, wenn er über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten an mehr als zehn Tagen im Monat auftritt. In solchen Fällen bringt oft eine spezielle schmerztherapeutische Behandlung, wie sie im Rotes Kreuz Krankenhaus angeboten wird, Linderung. 1981 – vor genau 40 Jahren – entstand dort die erste Schmerzambulanz Bremens. Sie entwickelte sich in den 80er Jahren zum größten Schmerzzentrum in ganz Norddeutschland mit stationären Betten für die Aufnahme chronisch Schmerzkranker. Auch eine Schmerzambulanz ist hier angesiedelt. Für die Diagnostik und Therapie der oftmals komplizierten Schmerzerkrankungen steht dort ein Team aus Schmerztherapeuten, Neurologen, Hals-Nasen-Ohren-Ärzten, Psychologen, Mund-Kiefer- Gesichtschirurgen sowie Physiotherapeuten zur Verfügung.

Spezialisierte Behandlung von Kopfschmerzen

Die Diagnose chronischer Kopfschmerzen kommt meist ohne aufwendige und kostspielige bildgebende Verfahren aus. In spezialisierten Zentren wie im RKK kann die gesamte Bandbreite der Kopf- und Gesichtsschmerzen behandelt werden. Das therapeutische Spektrum reicht von der medikamentösen Therapie, Nervenblockaden, Botoxbehandlungen über Psychotherapie und Biofeedback bis zu Patientenschulungen sowie besonderen Physiotherapieverfahren bei Kopf- und Gesichtsschmerzen. Zusätzlich zur körperlichen und neurologischen Untersuchung liefert ein intensives Patientengespräch die wichtigsten Anhaltspunkte. Hilfreich ist auch ein Kopfschmerz- Kalender, der in Apotheken und auf der Website der DMKG kostenlos erhältlich ist. Darin protokolliert die Patienten Dauer und Häufigkeit der Anfälle, Begleiterscheinungen und Medikation. Mithilfe der Notizen können oft individuelle Trigger erkannt werden. Die Diagnostik der Gesichts- oder Kopfschmerzen erfolgt in der Kopfschmerzsprechstunde der Schmerzambulanz. Zuvor muss das Gehirn mindestens einmal radiologisch untersucht worden sein. Erst wenn die Diagnose steht, wird die Therapie besprochen.

Spezialisierte Behandlung von Migräne

Migräne kennt keine geographischen Grenzen oder soziale Unterschiede. In Deutschland sind etwa 3,7 Millionen Frauen und rund 2 Millionen Männer betroffen, am häufigsten in der Gruppe der 35 – 45- Jährigen. 4 bis 5 Prozent der Kinder erleiden regelmäßig Migräneattacken. Bis zur Pubertät sind Jungen und Mädchen gleich häufig betroffen. Später tritt die Migräne öfter bei Frauen auf. Im fortgeschrittenen Alter gleichen sich Geschlechtsunterschiede wieder aus, die Migräne wird seltener. Migränepatienten berichten von einseitigen, klopfenden Schmerzen, die sich bei körperlicher Aktivität verschlimmern, ihnen ist übel und sie sind licht- und geräuschempfindlich. In manchen Fällen geht der Migräneattacke eine „Aura“ voraus: Der Patient hat vorübergehende Sehstörungen, Kribbeln oder Taubheit in den Gliedmaßen.

Wie Migräne entsteht

Über die Ursachen von Migräne existieren verschiedene Theorien. Im Hirnstamm gibt es gut durchblutete Areale, die als „Migränegenerator“ bezeichnet werden. Durch diesen kommt es zu einer Weitstellung der Gehirngefäße und zahlreiche Entzündungsstoffe werden freigesetzt u.a. Calcitonin Gen Related Peptide (CGRP). Diese verursachen Schmerzen, die über den Nervus Trigemiuns zum Schmerzzentrum geleitet werden. Auch die Gene spielen eine Rolle, da die Migräne familiär gehäuft vorkommt. So genannte Triggerfaktoren können Migräneanfälle begünstigen, z.B. Alkohol, Stress, Koffein- oder Schlafentzug, Hormone, bestimmte Nahrungsmittel oder Wetterumschwünge.

Aktuelle Therapieoptionen

Die besten Ergebnisse erzielen multimodale Therapieansätze, die medikamentöse Prophylaxe mit psychologischen Schulungen kombinieren. Betablocker oder Anti-Depressiva wirken vorbeugend und reduzieren die Intensität und Häufigkeit von Migräneattacken. Unterstützend werden im psychologischen Training Entspannungsübungen (z.B. progressive Muskelentspannung nach Jacobsen) erlernt und Trigger identifiziert.

Bei manchen Patienten wirken schon kleine Änderungen im Lebenswandel vorbeugend, beispielsweise ein regelmäßiger Schlaf-Rhythmus. Gegen die akuten Schmerzen während eines Anfalls helfen verschreibungspflichtige Triptane effektiv. Sie wirken auf die Serotonin-Rezeptoren im Gehirn und hemmen so die Schmerzen. Bei Patienten mit Herzkrankheiten, Bluthochdruck oder Schlaganfall dürfen Triptane aufgrund ihrer gefäßverengenden Wirkung nicht eingesetzt werden. Eine neue Therapieoption bei chronischer Migräne stellen die Monoklonalen Antikörper gegen den Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP)-Rezeptor (Erenumab) oder gegen CGRP (Eptinezumab, Fremanezumab, Galcanezumab) dar. Sie sind nicht für die Akutbehandlung geeignet, sondern zur prophylaktischen Behandlung zugelassen. Patienten mit vier und mehr Migräneanfällen im Monat können davon profitieren, sofern die anderen Medikamente zur Migräneprophxlaxe (z.B. Metoprolol oder Propranolol), Flunarizin, Topiramat, Valproinsäure oder Amitriptylin nicht wirksam waren, nicht vertragen wurden oder nicht eingenommen werden dürfen. Sie stellen eine Erweiterung der therapeutischen Optionen in der Migräneprophylaxe dar. Aber auch hier muss besonders auf Vorerkrankungen geachtet werden, besonders auf Herz- und Gehirnerkrankungen. Auch Schwangere und stillende Mütter sind von dieser Therapie bislang ausgeschlossen. Häufig nimmt während einer Schwangerschaft die Migränehäufigkeit jedoch deutlich ab.

Vorsicht bei der Selbstmedikation!

In der Regel ist auch gegen Selbstmedikation mit frei verkäuflichen Kopfschmerzmitteln nichts einzuwenden. Vorsicht ist allerdings geboten: Grundsätzlich kann jedes Schmerzmittel selbst Kopfschmerzen verursachen, wenn es zu häufig eingenommen wird. Medikamenten- Übergebrauchs- Kopfschmerz ist die Folge. „In der Kopfschmerzsprechstunde der Schmerzambulanz am Rotes Kreuz Krankenhaus stellen sich viele Patienten mit einem Medikamenten-Übergebrauchs-Kopfschmerz vor, wobei den meisten dieser Zusammenhang nicht bekannt ist . Viele stehen unter Leistungsdruck, wollen nicht ausfallen und bekämpfen lästiges Kopfbrummen mit Tabletten“, berichtet Dr. Ulma. Die lindernde Wirkung kehrt sich aber nach einiger Zeit ins Gegenteil um, ein dumpf-drückender Dauerkopfschmerz tritt an die Stelle der ursprünglichen Beschwerden. Schmerzexperte Ulma rät: „Um diesen zu vermeiden, sollten Schmerz- und/oder Migränemittel höchstens an zehn Tagen pro Monat und maximal drei Tage in Folge eingenommen werden.“ Therapeutisch wird bei medikamentenbedingtem Kopfschmerz, neben einem notwendigen Entzug, an der Psyche angesetzt. Der psychologisch konditionierte Zusammenhang „Tablette = Schmerzfreiheit“ muss durchbrochen werden.

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